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Peter Gerwinski – Artikel
26.4.2006 – Tag des „geistigen Eigentums“
Mahatma Gandhi Foto: public domain |
Neulich habe ich mir eine DVD mit dem Spielfilm Gandhi von Richard Attenborough angesehen. Ben Kingsley spielt in diesem Film den indischen Menschenrechtler Mohandas Karamchand Gandhi, genannt „Mahatma“ – „Große Seele.“
Zu den zahlreichen Taten Gandhis gehört auch der Salzmarsch von 1930: Gandhi wanderte zum Meer und gewann dort einige Körner Salz.
Was ist daran so ungewöhnlich?
Eigentlich nichts. Für ein Volk wie das der Inder, das den Ozean direkt vor der eigenen Haustür hat, sollte es selbstverständlich sein, ein lebenswichtiges Gut wie das Salz auf ganz natürliche Weise aus dem Meer zu gewinnen.
Das ungewöhnliche bestand darin, daß es verboten war. Die britische Kolonialmacht beanspruchte die Salzgewinnung für sich als Monopol. Gandhis gewaltloser Widerstand gegen die ungerechte Gesetzgebung – so bedeutungslos ein paar Körnchen Salz auf den ersten Blick auch erscheinen mögen – führte letztlich zur Unabhängigkeit Indiens.
Heutzutage verlaufen die Fronten anders. Zwar ist Salz nach wie vor ein lebenswichtiges Gut, doch die Machthaber in den Industrienationen kämpfen um etwas anderes: Informationen. Millionen von Menschen verletzen täglich das Patent- und Urheberrecht, ohne dabei auch nur ein schlechtes Gewissen zu haben.
Willkommen im Informationszeitalter! |
Der Gesetzgeber reagiert, indem er das Urheberrecht den neuen Gegebenheiten anpaßt. Beispielsweise verbietet das deutsche Urheberrecht seit September 2003 das Umgehen eines technischen Kopierschutzes.
Nehmen wir z.B. die DVD mit dem Gandhi-Film. Darauf steht groß und deutlich: „Diese DVD ist kopiergeschützt.“ Und tatsächlich: Die auf der DVD befindlichen Daten sind in einer Weise verschlüsselt, daß es nicht ohne weiteres möglich ist, sie abzuspielen.
Wohlgemerkt: sie abzuspielen. Sie zu kopieren ist weiterhin möglich – der „Kopierschutz“ wird einfach mitkopiert.
Das Kopieren der DVD ist sogar legal. Das deutsche Urheberrecht kennt – zumindest im Moment noch – das Recht auf private Kopien. So ist es z.B. derzeit noch gestattet, seine wertvolle Sammlung von Musik-CDs (oder Schallplatten) zu Hause zu lassen und sich für unterwegs eine spezielle CD (oder Kassette) zusammenzustellen.
Das Abspielen ist hingegen nur dann legal, wenn man – zum Beispiel als Programmierer einer DVD-Abspiel-Software – dafür beim Hersteller des „Kopierschutz“-Verfahrens eine Lizenz erworben hat.
Nicht jeder bekommt eine derartige Lizenz. Für Freie Software beispielsweise wird grundsätzlich keine Lizenz erteilt. Zur Begründung heißt es, die Freie Software ließe sich zu leicht verändern, um zusätzlich zum Abspielen auch ein Kopieren der DVD zu ermöglichen. Nicht, daß das nötig wäre: Den Inhalt der „kopiergeschützten“ DVD zu kopieren, ist ohnehin unproblematisch. Und nicht, daß man eine Begründung bräuchte: Natürlich steht es dem Hersteller des „Kopierschutzes“ frei, wem er eine Lizenz erteilt und wem nicht.
Eine Lizenz bekommt nur derjenige Programmierer, der vertraglich zusichert, die – willkürlichen – Auflagen des Herstellers des „Kopierschutzes“ zu erfüllen – bzw. seines Auftraggebers, der Film- und Musikindustrie.
Ergebnis: Nicht der Gesetzgeber, sondern die Film- und Musikindustrie entscheidet darüber, wer welche Filme sehen bzw. welche Musik hören darf und wer nicht. Sollte also z.B. ein DVD-Hersteller beschließen, daß nur Menschen mit weißer Hautfarbe seine DVDs abspielen dürfen, dann steht ihm frei, dies mit Hilfe technischer Maßnahmen durchzusetzen.
Was sagt der Gesetzgeber zu alledem?
Bis September 2003 regelte allein der Gesetzgeber, was mit CDs und DVDs getan werden darf und was nicht: Das Abspielen war stets legal. Kopieren für den privaten Gebrauch war legal. Kopieren im größeren Stil erforderte die Erlaubnis des Rechteinhabers. Der Rechteinhaber konnte zwar mit technischen Maßnahmen versuchen, die Rechte der Verbraucher weiter einzuschränken; die Verbraucher hatten jedoch das Recht, diese technischen Maßnahmen außer Kraft zu setzen, um die ihnen vom Gesetzgeber zugestandenen Rechte auszuüben.
Seit September 2003 ist das Umgehen technischer Maßnahmen – egal zu welchem Zweck – nicht mehr gestattet. Wenn der Rechteinhaber durch technische Maßnahmen die Rechte der Verbraucher einschränkt, so geschieht dies mit Rückendeckung durch den Gesetzgeber.
Informationen – ein lebenswichtiges Gut |
Wir halten fest: Der Gesetzgeber überläßt es den Rechteinhabern – Unternehmen, deren einziger Lebenszweck in der Gewinmaximierung besteht –, willkürlich darüber zu entscheiden, zu welchen Bedingungen man Zugang zu dem lebenswichtigen Gut „Informationen“ bekommt. Dies geschieht mit dem Umweg über technische Maßnahmen, irreführenderweise auch als „Kopierschutz“ bezeichnet, das sogenannte DRM. Die Abkürzung steht für “digital rights management” – „digitales Rechte-Management“. Eine zutreffendere Bedeutung der Abkürzung wäre „digitale Rechte-Minimierung“.
Was kommt als nächstes?
In den USA ist geplant, Verletzungen des Urheber- und Patentrechts in Zukunft mit hohen Freiheitsstrafen zu ahnden.
Die EU plant, diesem Beispiel zu folgen. Schon seit längerem „werben“ die Kinos für fünf Jahre Freiheitsstrafe gegen „Raubkopierer“; dies soll laut Plänen der EU-Kommission weiter verschärft werden.
Die EU-Kommission ist weiterhin bestrebt, Software-Patente nach amerikanischem Vorbild in der EU einzuführen. Damit würde nicht „nur“ der Zugang zu Kulturgütern aller Art, sondern auch die Nutzung lebensnotwendiger Ideen (z.B. Einkaufen) monopolisiert, also zum „geistigen Eigentum“ weniger Großkonzerne erklärt.
Hier sehen wir das Informationszeitalter-Äquivalent zur Monopolisierung der Salzproduktion in Indien.
Im Informationszeitalter, in dem wir uns befinden, ist der Umgang mit Informationen so selbstverständlich wie die Salzproduktion für die Bevölkerung Indiens. Dazu gehört das Recht, eine legal erworbene DVD mit der Software meiner Wahl abzuspielen, ebenso wie das Recht auf eine Privatkopie der Musiksammlung für unterwegs sowie mein Recht, logisch-mathematische Zusammenhänge in meiner täglichen Arbeit zu nutzen, ohne befürchten zu müssen, wegen der Verletzung von Software-Patenten belangt zu werden.
Digitaler Salzmarsch? |
Wie könnte nun ein digitaler Salzmarsch aussehen?
Neulich habe ich mir eine – legal erworbene – DVD mit dem Spielfilm Gandhi von Richard Attenborough angesehen. Dafür habe ich den CSS-„Kopierschutz“ ausgehebelt, und damit habe ich das deutsche Urheberrecht in der Fassung von September 2003 verletzt.
Gandhi wanderte für seinen gewaltlosen Widerstand mehrfach ins Gefängnis, allerdings nicht für den Salzmarsch. So auch hier: Nach derzeitiger Rechtslage ist für mein „Verbrechen“, eine legal erworbene DVD abzuspielen, keine Freiheitsstrafe vorgesehen, sondern lediglich Schadensersatz. Ins Gefängnis wandern andere.
Dies kann sich in Zukunft ändern. Sollte die EU als Bastion gegen Software-Patente in der Welt fallen, verletzt die von mir geschriebene Software – wie die jedes anderen Programmierers auch – mehrere 1000 Software-Patente. Dies, zusammengenommen mit den Bemühungen der EU-Kommission, Gefängnisstrafen für Patentverletzungen durchzusetzen, sollte genügen, jeden europäischen Programmierer hinter Gitter zu bringen.
Wäre das nicht eine großartige Chance für Indien?
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