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Peter Gerwinski – Artikel
23.1.2004
Es gibt sie wirklich: Leute, die Dinge aus dem Supermarkt mit nach Hause nehmen, ohne dabei auch nur ein schlechtes Gewissen zu haben. Genaugenommen ist ein solches Verhalten sogar sehr viel verbreiteter, als man sich gemeinhin bewußt ist.
Ähnlich – oder sogar schlimmer – verhält es sich mit dem Internet, den Tauschbörsen und den Raubkopierern. Auch hier ist von „Gewissen“ praktisch nie die Rede.
Mit der Zielsetzung, dem Problem „Internet – rechtsfreier Raum?“ zu begegnen, hat das Bundesjustizministerium ein neues Urheberrecht ausgearbeitet, das seit September 2003 in Kraft ist.
Das Gesetz ist nicht unumstritten. Vertreter der Musikindustrie bemängeln, daß es in einigen Punkten nicht konsequent genug sei, während Verbraucherschützer bemängeln, daß das Gesetz die Rechte der Kunden zu stark beschneide.
Im Rahmen einer Diplomarbeit wurde nun im Internet ein Fragebogen veröffentlicht. Das Online-Magazin Telepolis verweist in einem Artikel auf diesen Fragebogen mit dem Hinweis:
Ende Mai werden die Ergebnisse hier veröffentlicht und dem Bundesjustizministerium als repräsentatives Meinungsbild vorgelegt.
Nun ist es bei offenen Online-Umfragen grundsätzlich schwierig, ein wirklich repräsentatives Meinungsbild zu ermitteln. Dies gilt allein schon deswegen, weil die Gruppe derjenigen, die auf eine derartige Umfrage überhaupt aufmerksam werden und bereit sind, an ihr teilzunehmen, weit davon entfernt ist, repräsentativ zu sein. Nichtsdestoweniger kann eine gut durchgeführte Umfrage sehr aussagekräftig sein, daher habe ich mir – als juristischer Laie, der jedoch von einigen der Gesetzesänderungen direkt betroffen ist und sich daher notgedrungen sehr intensiv mit der Problematik befaßt hat – diesen Fragebogen etwas näher angesehen.
Das „Downloaden“ von Musik … |
In den ersten fünf Fragen geht es zunächst einmal um den Leser und seine Beziehung zum Fragebogen und zum Urheberrecht. Mit Frage 6 beginnt eine Abfrage von Wissen über das neue Urheberrecht.
Bereits hier, also noch bevor wir zu der eigentlichen Aufnahme eines Meinungsbildes kommen, wird meine Skepsis gegenüber dem Fragebogen deutlich erhöht. So lautet Frage 7:
7. Ist das Downloaden von Musik aus Internettauschbörsen gesetzlich verboten?
Bereits der recht … moderne Sprachgebrauch des englischen Verbs „to download“ spricht meines Erachtens nach nicht für besondere Sorgfalt bei der Ausarbeitung dieses Fragebogens. Leider ist, wie die Auswahl der möglichen Antworten zeigt, dieses Problem nicht allein auf Sprache beschränkt:
- Nein, da jeder Bürger ein Recht auf Privatkopien hat.
- Ja, weil keine Daten aus offensichtlich rechtswidrigen Quellen kopiert werden dürfen.
- Dies ist noch unklar, weil diese Frage immer noch verhandelt wird.
- Weiß ich nicht.
Wenn man die richtige Antwort ebenso kurz fassen würde, müßte sie lauten: „Das kommt auf die Musik an.“ Diese Antwort ist allerdings nicht vorgesehen.
Problematisch ist auch folgendes: Die Formulierung „aus rechtswidrigen Quellen“ suggeriert, daß es sich hierbei um ein Zitat aus dem Gesetzestext handeln könnte. Tatsächlich ist aber im Gesetzestext von „rechtswidrigen Vorlagen“ die Rede. Diese Originalformulierung läßt weitaus besser als die des Fragebogens erkennen, worauf es hier tatsächlich ankommt.
Wie kann so etwas passieren? Meines Erachtens hat der Autor des Fragebogens an dieser Stelle einige Dinge als selbstverständlich vorausgesetzt, die es nicht sind, nämlich den urheberrechtlichen Status der Musik, die man sich aus dem Internet herunterlädt. Dies wird auch an späteren Fragen deutlich:
30. „Ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich viel Musik kopiere.“
Bitte tragen Sie auf der Skala ein, wie sehr diese Aussage Ihrer Meinung nach zutrifft.
Neulich habe ich von der Webseite eines guten Freundes, der selbst Musik produziert, ein Klangbeispiel kopiert, das er dort zur Verfügung stellt. Dabei hatte ich überhaupt kein schlechtes Gewissen.
Auch Online-Musikläden wie z.B. iTunes stellen Musik zum kostenpflichtigen Herunterladen zur Verfügung. Die Einnahmen kommen nicht dem Betreiber (Apple), sondern der amerikanischen Musikindustrie zugute und stellen dort einen durchaus relevanten Anteil des Gesamtumsatzes dar. Wieso sollte ich ein schlechtes Gewissen haben, wenn ich meine Musik dort einkaufe?
Ich könnte mir dafür höchstens einen Grund vorstellen, nämlich den, daß ich damit eine Industrie unterstütze, die meine eigenen Rechte als Verbraucher mit Füßen tritt.
„Darum geht es hier doch gar nicht“, werden Sie jetzt möglicherweise einwenden: „Hier geht es doch wohl eindeutig um den illegalen Musiktausch über das Internet.“
Und genau das ist das Problem: Nicht nur in dem Fragebogen, sondern in der ganzen Diskussion um das neue Urheberrecht ist stets kurz von „Kopieren“ die Rede, und es ist damit immer „eindeutig“ das illegale Kopieren gemeint. Dies geht so weit, daß die meisten Leute inzwischen Begriffe wie „Kopieren“, „Herunterladen“ und „CDs brennen“ automatisch mit illegalem Kopieren gleichsetzen. Daß es auch ein legales Kopieren gibt und daß dieses genauso wie das illegale Kopieren von dem neuen Urheberrecht betroffen ist, rückt mehr und mehr aus unserem Bewußtsein.
Darf man das legale Kopieren opfern? |
Auch hier ist der Einwand vorhersehbar: „Aber die meisten Kopien sind illegal.“
Ich halte diesen Einwand für zumindest diskussionswürdig. Wie oft man in der Praxis legale Kopien anfertigt – zum Beispiel die persönliche Musikzusammenstellung für unterwegs –, wird einem oft erst dann klar, wenn man gezwungenermaßen darauf verzichten muß.
Im Computer ist der Vorgang des Kopierens eine völlig selbstverständliche und vor allem unvermeidliche Art des Umgangs mit Daten, egal welcher Art. Das Kopieren geschieht oft unbemerkt im Hintergrund, ohne daß sich der Benutzer dessen überhaupt bewußt ist. Beispielsweise ist jede erhaltene E-Mail eine Kopie des Geschriebenen, und beim Lesen einer Webseite wird fast immer automatisch eine Kopie der Seite auf der Festplatte abgelegt.
Ich behaupte, daß das legale Kopieren für unsere Kultur einen wesentlich höheren Stellenwert einnimmt, als meistens angenommen wird und daß der Schaden, der durch die Illegalisierung des bisher legalen Kopierens angerichtet wird, den Schaden durch illegales Kopieren bei weitem überwiegt.
Aber selbst darum geht es eigentlich gar nicht.
Es ist nämlich nicht so, daß das neue Urheberrecht irgendeinen Beitrag zu der Frage nach der Legalität des Musiktauschs über Internet-Tauschbörsen leisten würde. Es war schon immer illegal, ohne Erlaubnis des Urheberrechtsinhabers Inhalte zum freien Herunterladen anzubieten – genauso, wie es auch schon immer die rechtliche Handhabe gab, um denjenigen, die illegale Kopien kommerziell vertreiben, das Handwerk zu legen.
Neu ist, daß der Urheberrechteinhaber die Nutzung der Inhalte an praktisch beliebige Forderungen binden darf.
Kein Kopierschutz, sondern eine Abspielsperre |
Speziell Frage 13 ist hervorragend dazu geeignet, von dieser Problematik abzulenken:
13. „Es ist mein gutes Recht, kopiergeschützte CDs zu knacken und zu brennen.“
Bitte tragen Sie auf der Skala ein, wie sehr diese Aussage Ihrer Meinung nach zutrifft.
Nach dem alten Urheberrecht war dies tatsächlich mein gutes Recht. Nach dem neuen Urheberrecht kann es verboten sein, „kopiergeschützte“ CDs überhaupt abzuspielen.
Dies liegt daran, daß es so etwas wie einen „Kopierschutz“ für CDs und DVDs gar nicht gibt. Das, was es gibt, ist eine Abspielsperre, die erzwingen soll, daß man die Inhalte nur mit ganz bestimmten Werkzeugen abspielen kann. Ob Original oder Kopie ist dabei unerheblich.
Der Urheberrechtsinhaber kann dann zum Beispiel beschließen, daß die „ganz bestimmten Werkzeuge“ keine Möglichkeit vorsehen dürfen, die Inhalte zu kopieren.
Erst mit diesem kleinen Umweg über die totale Kontrolle der möglichen Nutzung der Inhalte wird aus der Abspielsperre etwas, was man mit ein wenig Phantasie vielleicht als „Kopierschutz“ durchgehen lassen kann.
Wie gehen die Urheberrechteinhaber mit dieser neu gewonnenen totalen Kontrolle um?
Zunächst einmal bemühen sie sich sehr darum, daß außer den erwähnten „ganz bestimmten Werkzeugen“ keine Abspielmöglichkeiten existieren. Das geht so weit, daß man diejenigen, die ihre eigenen Werkzeuge bauen, unter Androhung von Gefängnisstrafen ruhigzustellen versucht.
Ansonsten sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Wer beispielsweise freie Software (Open-Source-Software) verwendet, darf seit September 2003 seine teuer erworbenen „kopiergeschützten“ CDs und DVDs damit nicht mehr abspielen.
Weil mir dies ungerecht vorkam, hatte ich bereits im April 2002 das Bundesjustizministerium in einem Brief darauf aufmerksam gemacht. Die Antwort lautete, daß das Abspielen von DVDs mit einem Hardware-DVD-Spieler auch in Zukunft legal bleiben würde.
Es ist übrigens weiterhin geplant, für jedes einzelne Abspielen eines Inhalts Gebühren zu kassieren. Und es ist bereits Realität, daß eine Firma in großem Stil mitprotokolliert, wer wann welche Musik hört oder welchen Film sieht. Noch nie war der gläserne Mensch in derart greifbarer Nähe wie heute.
Freuen wir uns also auf „April 2003“, denn dann sollen laut Fragebogen die Ergebnisse der Umfrage veröffentlich werden. Und wenn wir schon mal in der Zeitmaschine sitzen, können wir vielleicht auch gleich bis vor das Jahr 1949 zurückreisen und unsere Geschichte einem gewissen George O. erzählen. Vielleicht inspiriert ihn das ja zu einem Roman …
PS: Nein, ich habe kein schlechtes Gewissen, wenn ich etwas aus dem Supermarkt mitnehme, weil ich es ja schließlich an der Kasse bezahlt habe.
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